STYLEWARS

© Sabrina Depta, Hildesheim

Inspiration

Wie etwa für die Jugendstilkünstler, so gilt im Grunde auch für die Graffiti – Maler(Writer), dass ihr bildkünstlerisches Tun durch ein "Stilwollen" gekennzeichnet ist; sie schaffen Werke, denen eine gewisse Stilidee gemeinsam ist. Stil ist der künstlerisch gestaltete Ausdruck einer inneren Haltung. "(...) aus ihm und in ihm wird deutlich, wie der Mensch, wie das Ich sich in der Welt fühlt." * ) Dieses Lebensgefühl ist es, das die Writer generell eint: Swing, Rhythm, Action, Spannung, Risiko, Coolness, Getting Up, aber auch Brotherhood, Respect und die Tendenz zur Gewaltlosigkeit.

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Stil (Style) manifestiert sich im (bewussten) kontinuierlichen Gebrauch spezifisch ausgeprägter bildnerischer Gestaltungsmittel bzw. bildnerischer Elemente. Wie in allen Werken der projektiven Bildnerei werden auch beim Style Writing die hauptsächlichen bildnerischen Elemente Punkt, Linie, Fläche, Farbe, Form, Tiefe (Raum) und Komposition wirksam. Sie finden Anwendung in stilistisch unterschiedlich ausgeprägten Graffiti - Pieces.

Jede Ausschmückung steigert den ornamentalen Charakter von Buchstaben und Schriftbild. Das gilt auch für das Style- Writing, sei es nun, dass einzelne Bestandteile des Buchstabens ornamental umge- bildet und

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Buchstaben auf spezifische Weise zusammengefasst werden (ausgeschmückter Verlauf der Outlines, Abb.A) , sei es, dass das Innere des Buchstaben-  gerüsts mit   Ornamenten versehen wird

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 (ausgeschmücktes Fill In, Abb. B) oder dass im Hintergrund lineare oder gegenständliche Formen angebracht werden                      (ausgeschmückter Background, Abb. C).

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 Abb. A                                          Abb. B                                       Abb. C

*) Zit. Wilhelm Rüdiger: Stichwort 'Stil'. In: Kindlers Malerei Lexikon. Band 14: Begriffe II, hrsg. von Kurt Fassmann, München, 1985

Innerhalb des Style Writing kann man, wie bei jedem Zeitstil, Regionalstile, etwa städtetypische Stile, und Individualstile ausmachen. Zu bekannten Styles zählen u.a.:

Old School:

ein relativ einfacher Stil aus den Anfängen der Graffiti – Zeit

Brooklyn - Style: 

ein früher, in New York entwickelter Stil mit fließenden Buchstaben und Ausschmückungen, der maniriert wirkt

Bubble Style:

ein Stil mit blasenartig aufgeblähten Buchstaben, entwickelt von dem New Yorker Writer Phase 2

Bombing Style:

ein Stil mit großflächigen, kräftigen, schwungvollen Buchstaben, in dem sich die beim illegalen Arbeiten (Bomben) notwendige Schnelligkeit zeigt

Wild Style:

ein Stil, dessen Buchstaben ineinander verschachtelt und so ausgeschmückt sind, dass das Schriftbild für den Ungeübten nicht mehr zu entziffern ist

Gute Writer legen immer auf die Entwicklung eines eigenen Stils Wert. So gelingt es ihnen am besten, ihre Eigenart auszudrücken und ihre "Konkurrenten" zu übertreffen. So wie sich regionale, städtetypische Styles auch überregional auswirken können, so gelingt es manchen Writern, national und international stilprägend zu sein. Sie werden zu sog. Stylern. Ein solcher Styler ist z.B. Bando (geb. 1965 in London), der in Paris lebt und zu den wichtigsten Writern Europas zählt. Er hat die französische Street Art mit seinem Bando - Style beeinflusst, der durch Anbringen winziger Pfeile und die Überproportionierung einzelner Buchstaben gekennzeichnet ist.

Einen eigenen Stil zu entwickeln, ist nicht gleichbedeutend mit völliger Neuartigkeit. Auch wenn neue Bildideen in das Style Writing eingeführt werden, etwa im Rekurs auf Werke der bildenden Kunst, oder neue Sprühtechniken erprobt werden, so werden die "ungeschriebenen Regeln" der Writer - Tradition beachtet. Diese Gestaltungsregeln sind ein konventionalisierter, aber selten verbalisierter Besitz der Writer - Szene. Viele Writer sind nicht in der Lage, ihre künstlerische Produktion nach formal - ästhetischen Kriterien zu analysieren und wollen dieses auch gar nicht. Zu den wenigen Ausnahmen gehört der Berliner Sprayer Odem, der inzwischen nicht mehr aktiv ist:

"Ich versuche, so viel wie möglich aus den Buchstaben zu machen; ich wollte Style - Grundgesetze, weil mir »is' ja mein Geschmack« zu wenig war. Buchstabengesetze, Eleganz, Stärke, Schwäche, Angst, Liebe, Angriffslust, Zerstörung, -Schöpfung, all dies sollte in meinen Buchstaben zu sehen sein, gemischt mit dem traditionellen New York »Rockin' Groove«. Das Ziel war, der Beste zu sein." *)

Der Teil der Bevölkerung, die Graffiti für reinen Vandalismus und Schmiererei halten, wird –wenn sie sich denn Gedanken darüber machen- die Writer vielleicht für `gedankenlose Halbstarke mit Langeweile´ halten. Es gibt kein Falscheres Bild von Writern. Hervorstehende Sprüher verfügen über einen schon fast unheimlichen Eigenantrieb, planen ihre Aktionen genau durch und fühlen sich bewusst als Anhänger einer eigenen Subkultur. Vor allem sind es nicht hitzköpfige Jugendliche, die die bunten Buchstaben aus Frust oder Langeweile produzieren, sondern meist junge Männer zwischen 17 und 25, die jahrelang trainieren und konstant an sich und ihren Graffitis arbeiten.

Das gute am Writen ist auch, Du siehst erst die Sachen von einem Writer und schätzt ihn dann danach ein und nicht nach seiner Hautfarbe oder sowas. Writer sind nicht aus einer speziellen Gesellschaftsschicht oder in einem bestimmten Alter.

Der eigenständige, kreative Style, der sich in der Überwindung der bloßen Wiederholung eines konventionellen Zeichenrepertoires äußert, ist das in der Szene allgemein akzeptierte oberste Qualitätskriterium für Graffities. Daneben gibt es einige mehr oder minder fassbare Qualitätsmerkmale, die sich kaum auf den Inhalt von Graffiti beziehen, der ja zumeist aus dem Writing Name besteht, sondern auf formal - ästhetische Spezifika. Dazu gehören:

 

 - ausgewogene Proportionen

 - angemessene Schwünge

 - angemessene ornamentale   Ausgestaltung

 - harmonische Farbgebung

 

- präzise Technik

 - gelungener Bezug zur Umgebung/zur Wand

 - ggf. Leserlichkeit

 - Komposition der Buchstaben, die zu einer harmonischen Gesamtwirkung des Schriftzugs führt

Eine notwendigerweise sehr vorläufige Übersicht über den graffitiimmanenten Einsatz bildnerischer Gestaltungsmittel liefern die Zeichnungen. Mit diesen Zeichnungen, die nach den wesentlichen Aspekten des Style Writing, nämlich Outlines, Fill In und Background, geordnet sind, wird der Versuch unternommen, spezifischen formal - ästhetischen Mitteln von Graffities auf die Spur zu kommen.